Beten
Mosche Rabenu erzählte letzte Woche vor allem von den Fehltritten der Jiden, angefangen vom Auszug von Ägypten bis zum damaligen Zeitpunkt, als sie ihr Lager östlich des Jordanflusses, gegenüber Jericho aufgeschlagen hatten. Dies, nachdem sie Sichon & Og (סִיחוֹן ועוֹג) besiegt hatten. Nun erzählt Mosche Rabenu, dass er 515 mal darum gebeten hatte, das Heilige Land betreten zu dürfen. וָאֶתְחַנַּן [ich habe gebetet] und der Zahlenwert des Wortes ואתחנן
In Gematria
(6=) ו
(1=) א +
(400=) ת +
(8=) ח +
(50=) נ +
(50=) ן +
beträgt 515.
HASCHEM`s Antwort war jedoch: רַב לָךְ- äusserst viel ist für dich bestimmt! אַל תּוֹסֶף דַּבֵּר אֵלַי עוֹד בַּדָּבָר הַזֶּה – aber in dieser Angelegenheit sollst du nicht mehr mit mir sprechen! 1דברים ג' כ"ו 2Dewarim,
Deuteronomy,
5.Buch Mose 3, 26
In der Torah wird der Grund dieses Nein nur mit dem Fehler von Mosche Rabenu begründet, dass er den wasserspendenden Stein geschlagen hatte und nicht nur zu ihm redete. 3BaMidmar,
Numeri,
4.Buch Mose Kapitel 20 Jedem dünkt diese Strafe unproportional und übertrieben. Verschiedene Gründe trifft man in den Worten unserer Weisen, weshalb Mosche Rabenu der Eintritt ins Heilige Land tatsächlich verwehrt wurde. Selbstverständlich werden all diese Zadikim, welche ER aus seitigen Gründen äusserst stark bestraft, auf verschiedensten Arten von IHM entschädigt.
Wir wollen jetzt aber den Fokus auf eine andere Frage werfen: Weshalb antwortete HASCHEM erst nach der 515. Tfillo mit dem Nein? Weshalb liess er Mosche Rabenu so oft zappeln, wenn er am Schluss doch noch ein Nein erhielt? HASCHEM, welcher auch “der Barmherzige“ genannt wird, hätte schon nach ein paarmal ein definitives Nein verheissen können!
Beten – für jedermann?
Um die Antwort zu verstehen, müssen wir uns im Klaren sein, was תְּפִלָּה, [T’filah - Beten] bedeutet, was Beten bewirken soll. So schreibt zum Beispiel Rabbi Mosche ben Josef di Trani (der מבי"ט, lebte vor 500 Jahren in der Türkei und Zfas), dass תפילה, das Beten gebe es nur für Jiden, bei Nichtjuden gebe es kein Beten.
Dies scheint im krassen Gegensatz zu den Worten von Schlomo Hamelech [König Salomon] zu stehen! Bei der Eröffnungsfeier des ersten בֵּית־הַמִּקְדָּשׁ [Beit Hamikdasch – Tempel] wendet sich Schlomo Hamelech mit dem Gebet und mit der Bitte an HASCHEM, stets die Augen und die Ohren offen zu halten für alle Besucher des בית המקדש [Tempel]. Nun stellen unsere Weisen fest4M‘lachim 1,
1.Könige 8,39, dass Schlomo Hamelech einen gravierenden Unterschied machte zwischen den Bitten der Jiden und den Bitten der Nichtjuden! Bei den Nichtjuden bittet er darum, dass ER alle Wünsche des Nichtjuden erfüllen soll. Hingegen beim einen Jid6siehe Raschi zur Stelle
M‘lachim 1,
1.Könige 8,43 soll ER ihm laut dessen Taten und laut seinem Herzen belohnen. Also soll das Gebet des Jid immer erhört werden, aber sein Wunsch soll nur dann in Erfüllung gehen, wenn es zum Sein & Handeln des Jid passt – hingegen soll der Wunsch des Nichtjuden immer in Erfüllung gehen, unabhängig seines Wandelns.
Den Grund, dass HASCHEM den Bitten seines eigenes Volkes weniger nachgeben soll, erklären unsere Weisen folgendermaßen: Wenn ein Jid dawent [betet] und er feststellen muss, dass sein Wunsch nicht in Erfüllung geht, so versteht der Jid, dass entweder sein böses Handeln (seine עבירות) ein Hindernis darstellen, oder dass die Erfüllung seines Traumes für ihn schlecht und negativ sein würde. Er versteht, dass nicht HASCHEM das Problem ist, sondern er persönlich.
Würde aber ein Nichtjude zum jüdischen Tempel kommen, er würde um etwas bitten und es würde nicht in Erfüllung gehen - so würde der Nichtjude nicht zum Schluss kommen, er persönlich habe ein Problem, vielmehr würde er behaupten, dass genauso wie seine Gebete für andere Götter nichts gebracht haben, so ח"ו6חַס וְחָלִילָה
G-tt bewahre auch hier. Um dies zu verhindern, gibt HASCHEM dem Nichtjuden was er sich im Tempel nur wünscht, unabhängig seines Benehmen.
Nun gehen wir zurück zur Behauptung des Rabbi Mosche ben Josef di Trani, dass Beten sei den Jiden vorenthalten, bei den Nichtjuden gäbe es kein Gebet. Wie kann Rabbi Mosche ben Josef di Trani, welcher vor 500 Jahren gelebt hat, etwas behaupten, wenn Schlomo Hamelech vor annähernd 3000 Jahren das genaue Gegenteil feststellt, nämlich, dass die Gebete der Nichtjuden immer in Erfüllung gehen?
Ist Beten – eine Wunschliste?
Die Antwort ist, dass das Ziel des Betens nicht die Erfüllung der Bitten ist! Wäre das Ziel der Erhalt der Wunschliste, so würde der Nichtjude besser dastehen. Beten in der Heiligen Sprache heisst nicht בַּקָּשָׁה [Bakaschah = Bitten], sondern תְּפִילָּה [T’filah = Anheften].7Siehe Raschi BaMidbar,
Numeri,
4.Buch Mose 19,15 HASCHEM machte, dass Awrohom Owinu und Jizchok Owinu jahrelang keine Kinder zur Welt brachten. Nicht als Strafe, sondern als unsere Väter jahrelang für Nachkommen bitteten, hatte dies bewirkt, dass sie sich zu IHM mehr und mehr anhefteten! Zu guter Letzt bekamen sie Kinder, aber das jahrelange Warten hatte die für sie positive Auswirkung, dass sie zu IHM immer mehr näher kamen!
Dieses Näherkommen zu IHM; dieses Wissen, dass man vollständig in seiner Gewalt steht; dieses herrliche Gefühl, dass man dem Liebsten der Welt, dem Allermächtigstem nahe steht – dieses Ziel der תפילה = des Anheften ist den Jiden vorenthalten.
Und vielleicht deshalb hat auch Mosche Rabenu das definitive Nein erst nach der 515. Bitte erhalten und nicht viel früher. ER ermöglichte ihm das sich an IHM anheften. ER liess Mosche Rabenu glauben, dass er eventuell doch noch ins Heilige Land treten werden könne. So bat er nochmals und nochmals darum. Diese Bitten erreichten das wirkliche Ziel: Mosche Rabenu kam IHM immer noch näher!
Die Moral von dieser Story:
Rabenu Bah`je (Bahya ben Joseph ibn Paquda רבנו בחיי) in seinem Werk חוֹבַת הַלְבָבוֹת Chowot HaLevevot كتاب الهداية إلى فرائض القلوب 7Das Original wurde in Arabisch geschrieben unter den Titel „Kitab Alhidayat 'Iilaa Farayid“ [Das Buch der Anleitung zu den Verordnungen] [Die Pflichten der Herzen] schlägt vor, dass jedermann in jeder שְׁמוֹנֶה עֶשְׂרֵה, in jedem Gebet ja um all seine Bedürfnisse bitten soll. Vor Schluss seines Gebets soll man dann folgendermaßen beten:
- "Lieber Allmächtiger! Stimmt, dass ich vieles für mich gewünscht habe. Ich weiß aber, dass DU besser als mir weißt, was für mich gut ist. Bitte mach das, was DU am besten für mich findest."
Und nach jedem sich-zu-IHM-wenden dürfen wir die glücklichsten Menschen sein; das Herz voller Freude, voll mit der Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen; voller Freude, dass es uns erlaubt ist, IHM nahezukommen!