Diese Woche lernen wir den längsten Abschnitt des Jahres, die Parsche [פָּרָשָׁה = Wochenabschnitt] von Nasso.
Fast jedes Jahr sind die Abschnitte von Mattot und Mas'e zusammen und dann sind diese noch länger. Nasso ist jedoch der längste Einzelabschnitt.
Sie besteht aus 176 Sätzen [פְּסוּקִים = P’sukkim]. Praktisch jedes Jahr wird Nasso am Samstag nach Schawuot [שָׁבוּעוֹת] gelernt. Schawuot feiern wir den Erhalt der Torah. So liegt es auf der Hand, weshalb wir anschliessend nach dem Erhalt der Torah den längsten Abschnitt des Jahres lernen. Mit dem Lernen der 176 Sätze zeigen wir, wie stark wir dieses Geschenk, die Torah, schätzen.
Interessant ist, dass das längste Kapitel Psalmen [תְּהִלִּים = Tehillim] ebenfalls 176 Sätze hat! Das Kapitel 119 vom Psalmen hat acht Sätze, welche mit einem Aleph [א] 2Dem ersten Buchstaben des jüdischen Alphabets beginnen, dann acht, welche mit einem Bet [ב] beginnen usw. Das jüdische Alphabet besteht aus 22 Buchstaben. Achtmal 22 beträgt 176.
Weiter ist der Babylonische Talmud, das praktisch wichtigste Werk im Judentum, in Traktate eingeteilt. Der längste Traktat, Bawa Batra [בָּבָא בַּתְרָא = aramäisch „Das letzte Tor“], hat 176 Seiten!.
Schreiten wir weiter zum Aspekt der Kabbalah [קַבָּלָה] - der mystische Teil der Torah. Im ersten Buch Moses Kapitel 36 sind die Nachkommen von Esau3עֵשָׂו, dem Sohn von Isaak aufgezählt. Einer von ihnen heisst צְפוֹ – Z’fo. Der Zahlenwert der drei Buchstaben von צְפוֹ ist wiederum 176! Laut der Kabbalah ist dies nicht nur ein Sohn von Esau, sondern dies ist eine Kraft der טֻמְאָה [Tum‘ah], der negativen Kräfte . Mit dem Lernen der Parsche Nasso, dem Sagen des Psalms 119 und dem Studieren des Traktat Babba Batra bezwingt man die negative Kraft von Z’fo.
Wir lernen von der freiwilligen Möglichkeit, ein Nasir [נָזִיר] zu sein. Ein Nasir hat drei Einschränkungen. Erstens darf er keine Toten berühren und nicht unter einem Dach mit einem Toten sein. Zweitens darf er keine Trauben, Rosinen, Traubensaft, Wein und Essig verzehren.
Kiddusch [קִדּוּשׁ] kann er von jemand anderem hören oder auf die Challes [חַלּוֹת] machen. Hawdalah [הַבְדָּלָה] auf Bier. Vier Becher am Sederabend sind 'lediglich' Mid‘Rabonon [מִדְּרַבָּנַן].
Und drittens darf er sich nicht die Haare schneiden.
Im Talmud lernen wir, dass es drei verschiedene Nasiräer gibt. Der erste, der klassische Nasir, ist für mindestens dreißig Tage Nasir und unterliegt allen drei Einschränkungen. Weiter kann man ein ewiges Nasir-tum auf sich nehmen, so wie es Prophet Samuel [שְׁמוּאֵל = Schmu'el] und Abschalom [אַבְשָׁלוֹם], einer der Söhne von König David, waren. Dann kann man einmal im Jahr seine Haare schneiden (sofern man im Tempel verschiedene Opfer bringen kann). Weiter kann man ein Nasir-tum auf sich nehmen, wie es Simson einer war. Auch dieses gilt ewig, das Haareschneiden ist jedoch untersagt, wie auch der Genuss von Trauben etc. Dafür ist der Kontakt mit Leichen erlaubt. Simson tötete ja äußerst viele Philister.
Heute wird empfohlen, kein Nasir-tum auf sich zu nehmen, auch nicht für lediglich dreissig Tage. Denn das Nasir-tum endet erst mit dem Bringen der vorgeschriebenen Opfer im Tempel. Da Moschiach [מָשִׁיחַ = Messias] noch nicht gekommen ist und wir noch nicht den dritten Tempel haben, um diese Opfer zu bringen – so kann man im Moment heutzutage jegliches Nasir-tum nicht beenden.
Die Gesetze des Nasir starten mit den Worten:
* יַפְלִא = klar aussprechen (und nicht nur in Gedanken den Entschluss fassen)
Das Wort יַפְלִא kann auch 'etwas verwunderbares' heißen. So erklärt auch der Ibn Esra, dass normale Menschen keine Einschränkungen gern haben. Wenn nun ein Jid, welchen die Torah bereits ganz ordentlich eingeschränkt hat, auch noch weitere Verbote auf sich nimmt und sich von Trauben, Toten und Haareschneiden entfernt – so ist dies tatsächlich einפֶּלֶא = 'etwas verwunderbares'.
Dazu eine Geschichte:
Die Fachmänner des jüdischen Gesetzes werden bekanntlich Rabbiner genannt. Die geistigen Führer des Chassidismus, welche in Osteuropa 'Rebbes' genannt wurden, erhielten in Westeuropa den Titel 'Wunderrabbiner'.
Einer dieser Wunderrabbiner wurde irgendwann zwischen den Weltkriegen in Wien zum Gericht vorgeladen, um irgendetwas zu bezeugen. Da fragte ihn der Österreichische Richter, ob er 'Wunderrabbiner' heiße, da er tatsächlich Wunder vollbringen könne?
Antwortete der Rebbe: "Der Stadtrabbiner waltet über seine Stadt. Der Kreisrabbiner waltet über einen ganzen Kreis und der Landesrabbiner über das ganze Land. Derjenige, der das Wunder vollbracht hat und sein eigener Chef ist, auf sich alleine waltet – der wird 'Wunderrabbiner' genannt!"
שַׁבַּת שָׁלוֹם וּמְבֹרָךְ
Schabbat Schalom Um’worach
Einen Friedvollen und gesegneten Sabbat