Ki-Teze: Hasse deinen Feind - nicht!
Der Name unseres Wochenabschnittes heißt Ki-Teze - כִּי־תֵצֵא - Wenn du ausziehst [zum Krieg]!
- Warum ist die Beziehung zu den Ägyptern, die uns versklavt haben, sehr anders als die zu Amalek?
- Was hat es mit der ungewöhnlichen Mizwahⓘמִצְוָוה
Gebot von „Schiluach HaKen“ⓘשִׁילּוּחַ הַקֵן
Wegschicken des Nestes auf sich? - Ist es ein Akt von Grausamkeit, oder von Barmherzigkeit?
Hasse deine Feinde - nicht
Fangen wir mit dem zweiten Teil des Satzes an: „Fremdling“ klingt fast euphemistisch, wenn man bedenkt, dass das Volk Israel SKLAVEN der Ägypter waren. In diesem Zusammenhang fragt Rabbiner Jonathan Sacks sz”l, ob das nicht Grund genug wäre, die Ägypter für immer zu hassen?
Seine Antwort: Im Prinzip ja.
ABER:
- Erstens waren die Ägypter nicht nur Sklavenhalter des Volkes Israel, sondern auch sein Asyl während der Hungersnot, das Volk, dessen Königstochter Moscheh Rabbenus Leben rettete und ihn aufzog, und das Land, in dem Stammvater Jakobs Sohn Josef zum Stellvertreter und höchstrangigen Berater des Pharaos wurde.
- Zweitens konnte das Volk Israel nur wirklich aus Ägypten ausziehen, wenn umgekehrt Ägypten auch aus ihm auszog, in anderen Worten: wenn sie den Hass beiseitelegten, und statt an ihre schlimme Vergangenheit in Ägypten an ihre schöne Zukunft in Erez Israelⓘאֶרֶץ יִשְׂרָאֵל
Das Land Israel denken. - Drittens kann man Hass nicht mit Hass besiegen, sondern nur, wenn eine Partei aufhört zu hassen. Das gilt auch für die Edomiter, die Nachkommen Esausⓘעֵשָׂו
Ejsaw - er hasste (seinen Zwillingsbruder) Jakob, ABER NICHT UMGEKEHRT!
Diese Idee - dass die Ägypter nicht ewige Feinde sind (im Gegensatz zu Amalekⓘעֲמָלֵק und seine Nachkommen, die auch in unserer Paraschahⓘ פָּרָשָׁה
Wochenabschnitt erwähnt werden) - greift der Prophet Jeschajahuⓘיְשַׁעְיָהוּ
Jesaja auf, der voraussieht, dass die Ägypter, die Unterdrücker des Volk Israels, einst selbst unterdrückt werden, und HaSchem ihnen helfen wird (Jesaja, 19:20f).
Schick den Vogel weg - und werde alt (?)
Das klingt auf dem ersten (und vielleicht auch zweiten) Blick sehr grausam: Wir schicken die Vogelmutter weg, stehlen ihr Küken oder Eier - und werden dafür auch noch belohnt (u.a. mit Langlebigkeit)!
Tatsächlich sieht die Kabbalahⓘקַבָּלָה in dieser auch als Schiloach HaKen (Wegschicken des Nestes) bekannten Mizwah ein Akt der Grausamkeit - die aber einen Zweck hat. Die Idee des Soharsⓘזֹהַר
Sohar ist, dass man absichtlich eine grausame Tat begeht, um einen Prozess herbeizuführen, der Gott dazu veranlasst, dem jüdischen Volk Mitleid zu erweisen. Denn die Notschreie des Vogels über die Proteste der Engel erregen HaSchems Mitleid stärker als die eines Menschen.
Diese Interpretation steht jedoch im Gegensatz zu der meisten Rabbiner und Gelehrten:
Der Raschbam sieht in dieser Mizwah Barmherzigkeit - dieselbe Barmherzigkeit wie in der Mizwah, das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter zu kochen (2. Buch Moses 23:19) und der Mizwah, eine Kuh nicht am selben Tag wie seine Nachkommen (3. Buch Moses 22:28) zu schlachten, nämlich: Wir respektieren die Eltern-Kind-Beziehung auch bei den Tieren, die wir konsumieren, oder deren Produkte (Milch, Eier) wir konsumieren.
Ibn Ezra fügt hier noch etwas hinzu:
Die Belohnung („dass du lange lebst”) bezieht sich auf eine Stelle im 4. Buch Moses (22:7), wo es darum geht, das nicht ein ganzes Nest zerstört wurde. In anderen Worten, indem wir die Mutter NICHT zusammen mit ihren Küken mitnehmen, haben wir nicht nur einen Akt grundloser Grausamkeit vermieden, sondern auch - und das ist der springende Punkt, dem Vogel die Möglichkeit gegeben, sich zu regenerieren. Schließlich ist jetzt die Vogelmutter immer noch in der Lage, mehr Eier zu legen und mehr Küken bis zur Reife aufzuziehen.
Indem wir den Vögeln ‚langes Leben‘ sichern,
verdienen wir auch selbst ‚langes Leben‘.