Nasso
Priestersegen und Enthaltsamkeit
Der Wochenabschnitt Nasso:
Unser Wochenabschnitt Nasso beschäftigt sich, so wie der von letzter Woche, Bamidbar, mit dem Heiligtum in der Wüste und der Verteilung der mit ihm verbundenen Aufgaben:
- Der Priestersegenⓘבִּרְכַּת הַכֹּהֲנִים
Birkat HaKohanim, Teil 1 - in Tina Turners Worten “what’s love got to do with it”? - Nasirⓘנָּזִיר - handelt es sich dabei um einen “jüdischen Mönch”?
- Der Priestersegen, Teil 2 - ist Schalomⓘשָׁלוֹם wirklich Frieden?
Priestersegen - mit Liebe (oder gar nicht)
Dabei handelt es sich natürlich um die בִּרְכַּת הַכֹּהֲנִים - der Priestersegen, der in dieser Paraschahⓘפָּרָשָׁה
Wochenabschnitt zum ersten Mal erwähnt wird. Seit Tausenden von Jahren segnen Eltern ihre Kinder am Lejl Schabbat (לֵיל שַׁבָּת - Freitagabend, nach dem man von der Synagoge zuhause ankommt) mit diesen Worten.
Aber auch am Ende der Schmone-Essre (שְׁמוֹנֶה עֶשְׂרֵה - des 18-Gebets, das wir dreimal am Tag beten) sprechen die Kohanim (כֹּהֲנִים - Nachfolger der biblischen Priester, über die väterliche Linie) diesen Segen vor der Gemeinde aus. Interessant ist die בְרָכָהⓘBrachah
der Segensspruch, den die Kohanim davor sagen:
Warum Liebe?
Wie Tina Turner sang, “What’s love got to do with it”? Was hat Liebe damit zu tun? Tatsächlich fügen wir ansonsten nie - weder beim Segensspruch vor dem Anzünden der Schabbatkerzen, noch bei Segenssprüchen vor Essen, und auch nicht beim Kidduschⓘקִידּוּשׁ
wörtlich „Heiligung“
= Segensspruch - „mit Liebe“ hinzu?
Warum also hier?
Dazu sagt Rabbi Mosche Grilak sz”l folgendes:
Der Priestersegen ist eine tägliche Übung für uns alle. Eine ständige Übung, die uns etwas über Liebe lehrt. In einer Zeit der Scharlatane, die falsche Wunderheilungen anbieten, in einer Zeit, in der man nie weiß, wohin die eigene wohltätige Spende wirklich geht, erinnert uns Nasso daran, dass in jeder Synagoge unserer Nachbarschaft jeden Morgen dieser mächtige Segen kostenlos und mit Liebe erteilt wird.
Als Antwort auf Tina Turner kann man eine israelische Hummus-Werbung (חומוס עושים באהבה או לא עושים בכלל - Hummus wird mit Liebe gemacht oder gar nicht) anwenden:
Entweder man segnet mit Liebe - oder gar nicht.
Nasir - Abstinenz, aber nicht komplett
Was ist also ein Nasir, der in unserem Wochenabschnitt zuerst erwähnt wird? Kurz zusammengefasst: ein Jude, der ein Gelübde ablegt, dass er sich nur HaSchem widmet, und der drei Verpflichtungen auf sich nimmt:
- Er schneidet sich nicht die Haare
- Er nimmt kein Wein oder von Trauben abgeleitete Produkte zu sich
- Er geht nicht in Nähe von Toten
(eine ausführliche Abwandlung gibt es u.a. hier)
Ist ein Nasir also ein Asket, so wie - l‘hawdilⓘלְהַבְדִּיל
Im Gegensatz zu - ein katholischer Mönch?
Dazu sagt Sforno folgendes:
Die Torah ist der Auswahl der Enthaltsamkeiten für den Nasir sehr selektiv. Er soll sich nur vom Wein fernhalten, aber dies stellt in keiner Weise eine Erlaubnis dar, „sich durch Fasten zu missbrauchen, denn ein solches Verhalten würde die Kraft verringern und eine entsprechende Verringerung der Fähigkeit bewirken, Haschem zu dienen. Der Zweck des Nasir besteht nicht darin, ein Asket zu werden und seinen Körper durch Selbstgeißelung nach der Art der Klosterpriester zu bestrafen.
Vielmehr soll er sich nur des Weins enthalten, denn dies wird die Leichtfertigkeit verringern und seine Neigungen unterdrücken, ohne die Kraft des Körpers zu schwächen.“ In ähnlicher Weise ist die Betonung des langen Haarwachstums nicht willkürlich, denn indem der Nasir dies tut, „lässt er alle Sorgen um die Schönheit und Pflege seines Haares hinter sich“. Somit wird auch hier die „Trennung von materiellen Wünschen“ erreicht, ABER: ohne Selbsterniedrigung und Vernachlässigung des Körpers.
Dies ist somit sehr typisch für die jüdische Weltanschauung: wir haben zwar Fasttage und Einschränkungen, was wir zu uns nehmen (wie z.B. die Koschergesetze) und auch, was die ehelichen Beziehungen betrifft - aber wir sind keine kompletten Asketen - es ist erlaubt (und sogar erwünscht), dass auch Rabbiner heiraten und Kinder zeugen - im Gegensatz zu katholischen Priestern, die dem Zölibat unterliegen. Auch ist der Alkoholkonsum erlaubt (und in Maßen erwünscht) - im Gegensatz zu der kompletten Alkoholabstinenz im Islam (und anderen Religionen, zB Mormonen).
Priestersegen - Schalom, nicht Friede
Dazu sagt Rabbiner Doron Perez folgendes: Schalom ist eines der am meisten missverstandensten Konzepte im Judentum:
Es ist nicht Frieden - denn Frieden heißt Nicht-Krieg, so wie beim infamen “Appeasement” (das Wort leitet sich von “Peace” - Frieden ab), wo Chamberlain versuchte, Hitler zu beschwichtigen, keinen Krieg zu führen. In anderen Worten kann man mit seinen größten und verhasstesten Feinden Frieden machen (und meistens ist das auch der Fall - mit Freunden braucht man keinen Frieden zu machen), weil ein permanenter Waffenstillstand seinen Interessen dient. Es ist aber kein Ziel an sich.
Frieden ist also nicht etwas, sondern die Abwesenheit von etwas - Krieg.
Schalom ist aber etwas ganz anderes: Schalomⓘשָׁלוֹם kommt von schalemⓘשָׁלֵם, vollständig - Schalom heißt, das man sich um den anderen sorgt, und ihm hilft, wo es ihm fehlt, ihm also vervollständigt.
Wenn wir Schalom machen, dann helfen wir uns gegenseitig, weil wir die gleichen Werte teilen.
Ich wünsche allen Lesern, dass wir nicht nur Frieden untereinander haben (Abwesenheit von Feindschaft und Krieg), sondern auch Schalom.